Was ist: Discounted Cash-Flow

Es besteht wenig Einigkeit darüber, wie man Aktien richtig bewertet, außer dass es teilweise Kunst ist und teilweise Wissenschaft.

Wir könnten es in etwa mit der Bewertung von Kunstwerken vergleichen, beispielsweise Andy Warhol’s „200 One Dollar Bills“ Siebdruck. Dieses Werk wurde für sagenhafte 43,8 Mio. USD (32 Mio. EUR) verkauft. Wie rechtfertigt man diesen Preis, wenn das Material wahrscheinlich so viel wie, nun ja, 200 1-Dollar-Scheine?

Für den Anfang kann ein Großteil des Wertes dem Namen Warhol zugeschrieben werden. Was man dann berücksichtigen könnte wäre die Bedeutung des Werkes für den Käufer, die Gewichtigkeit des Werkes im Vergleich zu anderen Werken und den Betrag, den andere für das Werk bezahlen würden.

Wie kann man mit diesem Gedankenansatz einen Preis von 79 EUR für Adidas-Aktien (ETR: ADS) rechtfertigen, oder den Preis für jede andere beliebige Aktie?

Manche verlassen sich auf eine „relative“ Bewertung, das heißt den Vergleich des Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV) mit derselben Kennzahl eines oder mehreren Wettbewerbers. Fools sollten ihr Augenmerk allerdings auf die Grundlagen eines Unternehmens richten – beispielsweise Cash Flow und Gewinn – und nicht nur darauf, für welchen Betrag eine Aktie im Vergleich zu der eines Wettbewerbers gehandelt wird.

Der Wert zukünftiger Geldmittel
Sehr häufig wird der Gewinn pro Aktie manipuliert durch einmalige Belastungen, bestimmte Buchhaltungstricks, und subjektiv handelndes Management, das den Gewinn durch Schönrechnerei um jeden Preis besser aussehen lässt.

Aber Cash ist Fakt.

Indem wir abschätzen, wieviel Cash ein Unternehmen nach Investitionen in neue Anlagen und der Bedienung anderer Verpflichtungen (beispielsweise gegenüber Kreditgebern oder für Sozialleistungen) seinen Aktionären in Zukunft zur Verfügung stellen wird, können wir den gegenwärtigen Wert der zukünftige Cashflows bestimmen – und damit können wir den Eigenwert einer Aktie abschätzen. Diese Methode nennt man Discounted Cash-Flow (dt. abgezinster Zahlungsstrom) Analyse.

Zur Verdeutlichung: sagen wir dein Freund Stefan bietet dir heute 1.000 Euro oder alternativ das Versprechen, von ihm 1.000 Euro in 5 Jahren zu bekommen. Du wärst verrückt, wenn du die 1.000 Euro nicht sofort annimmst, denn du kannst die 1.000 Euro ja investieren und Zinsen erhalten. Und nehmen wir an, dass sich die historische Inflationsrate fortsetzt, dann kann man für 1.000 Euro heute mehr kaufen als in 5 Jahren.

Aber was wäre, wenn dich Stefan fragt wie viel du ihm heute für sein Versprechen, in 5 Jahren von ihm 1.000 EUR zu erhalten, geben würdest (so wie man auch für die Erwartung zukünftiger Cash Flows eines Unternehmens zahlt)?

Das ist gleich eine viel schwierigere Frage. Du musst die Inflation der nächsten 5 Jahre und eine angemessene Rendite in Bezug auf Stefan’s Vertrauenswürdigkeit berücksichtigen (in diesem Beispiel betrachten wir sein Versprechen als Schuldschein). Nehmen wir an, dass ein Zinssatz in Höhe von 6% fair ist für die zu erwartende Inflation und das Risiko, Geld an Stefan zu verleihen. Dann wäre die Rechnung, mit der du berechnest wie viel Geld du Stefan heute geben würdest, wie folgt:

Zukünftiger Wert/(1 + Zinssatz)Anzahl der Jahre =

1.000 Euro           / (1 + 0.06)5                                                 = 747,26 Euro

Also würden wir Stefan heute 747,26 Euro für sein Versprechen zahlen, uns in 5 Jahren 1.000 Euro zu geben.

Gehen wir noch einen Schritt weiter. Was, wenn Stefan uns nicht nur nach 5 Jahren 1.000 Euro geben würde, sondern weitere 1.000 Euro jeweils nach dem 6. und dem 7. Jahr. Welche Summe wären wir dann bereit ihm heute zur geben?

Zeit Betrag Berechnung Gegenwärtiger Wert
Jahr 5 1.000 EUR (1.000 EUR/(1.06)5 747,26 EUR
Jahr 6 1.000 EUR (1.000 EUR/(1.06)6 704,96 EUR
Jahr 7 1.000 EUR 1.000 EUR/(1.06)7 665,06 EUR
Summe 2.117,28 EUR

Um es einfach zu halten, wir würden Stefan heute 2.117,28 Euro für sein Versprechen zahlen, uns in den Jahren 5-7 jeweils 1.000 Euro zu geben.

Das zweite Bespiel kommt der Discounted Cash-Flow (DCF) Analyse näher als das erste: man schätzt zukünftige Cash Flows, diskontiert diese mit einem angemessenen Zinssatz und erhält so einen fairen Wert für das heutige Geld.

Zweierlei Arten von Free Cash
Leider gibt es auf dem Aktienmarkt keinen Stefan, der uns so genau wissen lässt, wann wir wieviel von ihm bekommen werden. Also wie bestimmen wir die zu bewertenden Cash Flows?

Wenn wir ein Unternehmen bewerten, dann schauen wir auf das Geld, das nach Investitionen in Projekte für zukünftiges Wachstum übrig bleibt (z.B. Kapitalaufwendungen und Übernahmen) – das so genannte „freie“ Cash. In anderen Worten handelt es sich um das Geld, das an Investoren ausgeschüttet werden könnte und kann daher Grundlage für unsere Wertfeststellung sein. Es gibt dabei zweierlei Arten von freiem Cash: zum einen das Free Cash to Firm, zum anderen das Free Cash to Equity.

Free Cash Flow to Firm (FCFF) ist das was nach Zahlung von Zinsen an Kreditgeber und noch vor notwendigen Unternehmensinvestitionen übrig bleibt.

  • Wie berechnet man den FCFF? – fang mit dem Gewinn nach Steuern an, addiere Abschreibungen hinzu und subtrahiere Investitionsausgaben und Änderungen im Nettoumlaufvermögen (Umlaufvermögen minus kurzfristige Verbindlichkeiten).
  • Welchen Diskontierungssatz verwende ich? – Da man sowohl die Kosten der Verbindlichkeiten als auch des Eigenkapitals in die Berechnung einbezieht, diskontiert man den FCFF mit dem gewichteten durchschnittlichen Kapitalkostensatz – einer Kombination aus Kosten für Verbindlichkeiten und Eigenkapital.
  • Fertig. Und nun? – Jetzt zieh alle Verpflichtungen ab, die kein Eigenkapital sind (beispielsweise Kreditverpflichtungen, operative Leasingverträge) und addiere flüssige Mittel wieder hinzu, um den Wert des Eigenkapitals zu erhalten – was uns als Investoren besonders interessiert. Teile diesen Wert durch die Anzahl der sich im Umlauf befindlichen Aktien und du erhältst den angemessenen Wert pro Aktie.

Free Cash Flow to Equity (FCFE) dagegen bezeichnet das Cash, das übrig bleibt wenn man Verpflichtungen abzieht, die kein Eigenkapital sind.

  • Wie wird der FCFE berechnet? – fang mit dem Jahresüberschuss an, addiere Abschreibungen hinzu und subtrahiere Investitionsausgaben und Änderungen im Nettoumlaufvermögen. Alle neuen Einkünfte aus Fremdkapital, die das Unternehmen erhält, können theoretisch an die Kapitaleigner ausgeschüttet werden, so dass auch diese hinzugerechnet werden sollten.
  • Welchen Diskontierungssatz verwende ich? – der FCFE wird mit dem Eigenkapitalkostensatz des Unternehmens diskontiert, welche traditionellerweise durch das Capital-Asset-Pricing-Model (CAPM) ermittelt werden. Das CAPM bezieht dabei einen risikofreien Zinssatz ein (wir können die Rendite einer 10-jährigen Bundesanleihe nutzen), den Betafaktor (dieser gibt an, wie stark die Aktie im Vergleich zum Markt schwankt) sowie die Risikoprämie (entschädigt Investoren für das zusätzliche Risiko einer Aktie im Vergleich zu Anleihen).
  • Fertig. Und nun? – Teile diesen Wert durch die Anzahl der sich im Umlauf befindlichen Aktien und du erhältst den angemessenen Wert pro Aktie.

Bewertungsmodelle, die entweder den FCFF oder den FCFE anwenden, müssten zu gleichen Ergebnissen kommen, jedoch kann das eine oder das andere Modell „besser“ sein, abhängig von dem zu bewertenden Unternehmen.

So ist es beispielsweise bei Unternehmen mit schwankenden Verbindlichkeiten schwer, den Cash Flow vorherzusagen. Hier bietet es sich an, die FCFF Methode anzuwenden und das gesamte Unternehmen zu bewerten und jegliche nicht unter das Eigenkapitalverständnis fallende Verbindlichkeiten außen vor zu lassen. Andererseits bietet sich der FCFE bei Unternehmen mit wenigen oder nur wenig schwankenden Verbindlichkeiten an und liefert möglicherweise klarere Zahlen.

Spiel mit den Zahlen
Umsichtige Fools spielen verschiedene Szenarien für die Vorhersage der Free Cash Flows eines jeden Unternehmens durch, um so einen Bereich möglicher Werte zu erhalten. Unternehmen bis auf den letzten Cent zu bewerten, wie es viele Analysten in Frankfurt tun, ist eine Sisyphusübung, denn es setzt voraus, dass die Zukunft perfekt vorher sagt. Du solltest nicht so überzeugt davon sein, dass du genau vorhersagen kannst, wo ein Unternehmen in 5 Jahren oder mehr steht.

Das endgültige Ziel der Bewertung einer Aktie ist, sich sicher zu sein, zumindest einen fairen Preis für die Aktie zu bezahlen – einen Preis, der attraktive Renditen verspricht – und dabei eine angemessene Sicherheitsmarge zu berücksichtigen. Dass man zu viel für Aktien bezahlt ist einer der häufigsten Gründe für dauerhafte Kapitalverluste.

Fazit
So wie jeder Kunstsachverständiger eine individuelle Herangehensweise an die Bewertung von Kunstwerken hat, so hat jeder Investor eine andere Formel für die Bewertung von Aktien – die DCF-Analyse ist dabei eine solide Methode, um das hinter den Aktien stehende Unternehmen zu bewerten, was uns wiederum hilft, schlauere Langzeitinvestitionen zu machen.