Wieso wir uns im späten 19. Jahrhundert befinden und die Zinsen deshalb niedrig bleiben
Die inverse Zinskurve ist ein Phänomen, das man eigentlich nur kennt, wenn man sich in einem wahrscheinlich ungesunden Ausmaß mit der Finanzwelt beschäftigt. Es beschreibt die Situation, in der am Anleihemarkt langfristige Zinsen niedriger sind als kurzfristige Zinsen, was eine Inversion der üblichen Zustände ist (normalerweise wollen Anleger für langfristiges Anlegen mit höheren Zinsen belohnt werden).
Die inverse Zinskurve beschäftigt die Finanzmärkte zurzeit enorm, da wir sie aktuell erreicht haben und sie in der Vergangenheit oft ein Indikator für eine kommende Rezession war. Ich will nicht allzu sehr in die Details gehen, aber die grundlegende Annahme ist hier, dass niedrige Zinsen auf niedrige Inflation hindeuten und niedrige Inflation das Resultat einer schwachen wirtschaftlichen Entwicklung ist.
Zeit also, sich Sorgen zu machen? Ich denke, es könnte genau das Gegenteil der Fall sein. Seit der Finanzkrise wird die hartnäckig niedrige Inflation, zeitweise in manchen Ländern sogar vorherrschende Deflation (fallende Preise), als eine ungute Entwicklung gesehen, die bekämpft werden sollte. Man nimmt an, sie stammt von einer Schwäche an Nachfrage sowie wirtschaftlicher Dynamik.
Die inverse Zinskurve hat in den USA tatsächlich im letzten Jahrhundert ziemlich verlässlich Rezessionen vorhergesagt, es gibt aber auch einen anderen Blickwinkel. In dem halben Jahrhundert bis zum Jahr 1929 war die inverse Zinskurve ein gängiges Phänomen, sie herrschte während fast zwei Dritteln dieses Zeitraums vor. Dieses halbe Jahrhundert war aber gleichzeitig durch starkes wirtschaftliches Wachstum, einen regelrechten Boom geprägt.
Damals war die Inflation niedrig, aber das lag vor allem daran, dass die Produktivität enorm anstieg. Bahnbrechende Innovationen wie das Telefon, Elektrizität und der Verbrennungsmotor veränderten Alltag und Wirtschaft grundlegend und brachten enorme Effizienzsteigerungen, was wiederum Preisanstiege im Zaum hielt.
Es gibt Parallelen zu heute. Das Internet, Robotik, künstliche Intelligenz und weitere Innovationen machen Wirtschaftsprozesse effizienter. Auch wenn die Daten das nicht eindeutig zeigen, könnten Preise weniger durch schwache Nachfrage, sondern eher durch steigende Effizienz im Zaum gehalten werden. Und ohne steigende Preise dürfte es den Notenbanken immens schwerfallen, die Zinsen anzuheben.
Niedrige Zinsen und niedrige Inflation könnten uns noch eine ganze Weile begleiten, genauso wie die inverse Zinskurve. Ein Blick auf den Boom am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zeigt aber, dass es dabei gleichzeitig auch der Wirtschaft gut gehen könnte.
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