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Warum der Niedrigzins von Dauer und Helikoptergeld wahrscheinlich sein könnte

Geld-Welle
Foto: Getty Images

Die Europäische Zentralbank (EZB) fährt ihr Quantitative Easing Programm zurück. Seit Montag ist das Wertpapierkaufprogramm halb so groß und man kauft jeden Monat nur noch Wertpapiere im Wert von 15 Mrd. Euro mit frisch gedrucktem Geld.

Die Federal Reserve (Fed) ist bereits einen Schritt weiter. Die US-Notenbank druckt schon gar kein Geld mehr, sondern vernichtet mit ihrem Quantitative Tightening Programm seit Montag jeden Monat sogar 50 Mrd. US-Dollar. Immerhin 10 Mrd. mehr pro Monat als im letzten Quartal. Auch die Zinsen befinden sich in den USA seit Längerem wieder auf dem Weg nach oben.

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Die weltweite Geldpolitik scheint also auf dem Pfad der Normalisierung zu sein. Können wir uns daher endlich wieder Hoffnung auf „normale“ Zinsniveaus machen? Es gibt Argumente, die dagegensprechen. Wie diese lauten und was das für Anleger bedeuten könnte, darauf versuche ich hier einzugehen.

Laut Bank für Internationalen Zahlungsausgleich ‒ so etwas wie die Dachorganisation der weltweiten Notenbanken, laut Wikipedia zählt sie 60 davon zu ihren Mitgliedern ‒ haben wir zwischen 1980 und 2016 einen Anstieg sogenannter Zombieunternehmen von 2 % aller Unternehmen auf 16 % aller Unternehmen gesehen. Auf diese Zahl kommen die Forscher nach der Analyse börsennotierter Unternehmen in 14 entwickelten Ländern.

Produktivitätsprobleme und ihre mögliche Lösung

Als Zombieunternehmen bezeichnet man Unternehmen, deren Gewinne nicht ausreichen, um die Zinsen auf ihre Schulden zu bedienen, und die deswegen praktisch bankrott sind. Die Niedrigzinsen und die Geldschwemme in den letzten zehn Jahren dürften maßgeblich zu diesem Anstieg von Zombieunternehmen geführt haben ‒ das viele Kapital auf der Suche nach Renditen findet unter solchen Bedingungen eben doch leichter den Weg in eigentlich hochriskante Anlagen.

Eine negative Auswirkung dieser Entwicklung ist, so die logische Argumentation, dass die Schumpeter’sche Zerstörung ihre Arbeit nicht ordentlich erledigen kann ‒ dass also die am wenigsten produktiven Unternehmen dem Wettbewerb nicht standhalten können und von der Bildfläche verschwinden. Da das nicht passiert, wird immer mehr Kapital in wenig produktiven Bereichen gebunden, was die Produktivität unserer Weltwirtschaft verringert.

Genau das scheint im Jahr 2008 abrupt geschehen zu sein. So zeigt es zumindest Niels Jensen, Gründer und Chefinvestor der Investmentberatung Absolute Return Partners, in seinem jüngstem Blog-Beitrag. Während der Fünfjahresdurchschnitt der Produktivitätszuwächse zwischen 1980 und 2007 um die 2-%-Marke pendelte, ist er im Jahr 2008 ganz plötzlich deutlich unter 1 % gesunken und pendelt seither in diesem Bereich.

Aufgrund Letzterem hört man oft die Argumentation, dass das billige Geld für das geringe Wirtschaftswachstum und damit die langsame Erholung nach der Finanzkrise (mit)verantwortlich ist. Eine Lösung des Problems wäre daher, wenn man die künstlich niedrigen Zinsen wieder ansteigen ließe. Dies würde die Finanzierung für Zombieunternehmen erschweren und zu einer Bankrottwelle dieser Unternehmen führen. Das wäre voraussichtlich ein schmerzvoller Prozess, aber einmal durchlebt, so die Argumentation, würden wir einen Anstieg der Produktivität erleben und damit auch wieder ein höheres Wirtschaftswachstum.

Voraussetzung für nachhaltig steigende Zinsen

Das wäre natürlich wünschenswert, wahrscheinlich sogar notwendig. Denn in den letzten zehn Jahren ist die weltweite Verschuldung deutlich schneller gestiegen als das Einkommen (das weltweite Bruttoinlandsprodukt) ‒ laut macrotrends.net liegt das weltweite Verhältnis von Schulden zu Bruttoinlandsprodukt aktuell bei über 100 % im Vergleich zu weniger als 65 % Ende 2007.

Bei niedrigen Zinsen spürt man die Auswirkungen noch wenig, aber wenn der Schuldendienst aufgrund steigender Zinsen wieder steigt, könnte das unangenehm werden, da dann deutlich weniger Kapital für Investitionen und andere laufende Ausgaben vorhanden wäre. Stiege die Produktivität und damit das Wirtschaftswachstum und eben das Einkommen wieder, könnte sich der höhere Schuldendienst mit dem höheren Einkommen finanzieren lassen und die Auswirkungen deswegen in Grenzen halten.

Auf diesen Pfad würden wir kommen, wenn wir einmal den oben beschriebenen qualvollen Zerstörungsprozess durchlaufen hätten, der all die Zombieunternehmen und ihre unbedienbaren Schulden beseitigte. Kapital könnte dann wieder deutlich produktiver eingesetzt werden, die Einkommen stiegen und die Zinsen normalisierten sich in der Folge endlich wieder nachhaltig, ohne dass wir uns Sorgen um die Bedienbarkeit der weltweiten Verschuldung machen müssten.

Was gegen dieses Szenario spricht

Einen Punkt habe ich oben ignoriert. Das gesamtwirtschaftliche Einkommen ist nicht nur von der Produktivität des Einzelnen abhängig. Natürlich hängt es auch davon ab, wie viele Menschen es gibt, die produktiv sein können ‒ also der Größe der erwerbstätigen Bevölkerung. Und die, das wissen wir nicht erst seit heute, ist eher rückläufig. Zwischen 2015 und 2050 soll sie in Deutschland um 0,8 % pro Jahr zurückgehen. Das müsste man erst einmal durch einen gleich großen Anstieg der Produktivität ausgleichen, damit das gesamtwirtschaftliche Einkommen wenigstens stabil bliebe. So gesehen ist es unabdingbar, dass die Produktivitätszuwächse wieder zunehmen.

Das ist jedoch nicht selbstverständlich, selbst nach einer Bereinigung der Zombieunternehmen. Niels Jensen geht bei der Betrachtung der Produktivitätsentwicklung der letzten Jahren nämlich noch einen Schritt weiter. Er zeigt, dass der Rückgang der Produktivitätszuwächse kein Phänomen ist, das im Jahr 2008 plötzlich über uns gekommen ist. Zumindest in Deutschland ging das Produktivitätswachstum laut Jensen von knapp unter 2 % in den 90er-Jahren auf rund 0,8 % in den Nullerjahren und auf rund 0,6 % zwischen 2010 und 2015 zurück. Eine ähnliche Entwicklung beobachtet er in Großbritannien (jedoch nicht in den USA, wo das Wachstum in den Nullerjahren höher war als in den 90ern).

Einen Grund dafür sieht er in erster Linie in der demografischen Entwicklung. Ältere Menschen seien weniger produktiv als jüngere. Außerdem wollen die älteren Menschen gesundheitlich und anderweitig versorgt werden. Das benötigt wiederum Kapital, das (rein aus ökonomischer Sicht) weniger produktiv eingesetzt ist, als wenn man es anderweitig investiert.

Während diese beiden Gründe sehr einleuchtend sind, spricht er einen weiteren an, den ich deutlich interessanter finde. Einmal sieht er steigende Kosten bei der Energieproduktion ‒ zum Beispiel werde in den USA heute 30 mal so viel Kapital für die Produktion für Erdöl gebunden als zum Höhepunkt der Ölkrise in den 1980ern.

Es gibt also durchaus einige nachvollziehbare Gründe für die These, dass wir uns auf ein langfristig deutlich langsameres Wirtschaftswachstum einstellen müssen.

Was das für Anleger bedeutet

Eine Schlussfolgerung aus dieser Argumentation ist, dass man nicht so schnell von einer Niedrigzinspolitik abweichen kann. Denn wenn die Wirtschaft und damit das gesamtwirtschaftliche Einkommen nicht mehr so stark steigen kann wie in der Vergangenheit, dann wird auch ein steigender Schuldendienst aufgrund steigender Zinsen kaum möglich sein.

Viel hängt in diesem Falle natürlich auch von der Politik und dem politischen Willen ab. Wenn ich mir jedoch die politische Landschaft so anschaue, dann wage ich zu bezweifeln, dass es jemanden gibt, der so aggressive und kurz- bis mittelfristig schmerzvolle Maßnahmen ergreift, um die Verschuldungssituation auch ohne stärkeres Wirtschaftswachstum so in den Griff zu bekommen, dass merklich höhere Zinsen handhabbar wären. Ganz besonders in der heterogenen Eurozone, wo so viele unterschiedliche Kulturen und Interessen von demselben Geldhahn abhängig sind.

Für mich scheint es daher fast wahrscheinlicher, dass wir in nicht allzu ferner Zukunft eher die Erfahrung einer Version von Helikoptergeld machen dürfen, als dass wir wieder nachhaltig hohe Zinsen auf einem Niveau von vor zehn oder 20 Jahren erleben … selbst nach einer möglichen Bereinigung um Zombieunternehmen.

Allerdings wage ich keine realistische Einschätzung, welche Schritte die Politik und die Zentralbanken in den kommenden Jahren unternehmen wollen. Grundsätzlich würde ich kein Szenario ausschließen.

Was das für mich jedoch auch bedeutet, ist, dass es in der heutigen Zeit möglicherweise deutlich sinnvoller ist, selektiv zu investieren. Also anstatt in sehr breite ETFs, deren Performance in erster Linie von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung abhängig ist, könnte es sich heute noch mehr als früher lohnen, in einzelne vielversprechende Unternehmen zu investieren.

Und was nicht schaden kann, ist, ganz besonders nach Unternehmen Ausschau zu halten, die von genau den Entwicklungen profitieren könnten, die für die oben ausgeführten zugegebenermaßen eher pessimistischen Aussichten für die Gesamtwirtschaft verantwortlich sind. Also zum Beispiel Unternehmen, deren Geschäftsaussichten bei einer älter werdenden Bevölkerung sogar steigen; oder Unternehmen, die die Energieproduktion effektiver machen können.

Wenn man sich nicht mit einer Anlage in einzelne Unternehmen anfreunden kann, könnte man dem obigen Szenario zumindest entgegenwirken, indem man sich auf bestimmte Regionen fokussiert, deren Wirtschaft weniger hart von den genannten Faktoren betroffen ist. Dazu gehören (für mich überraschend) auch die USA und Großbritannien, wo die erwerbstätige Bevölkerungs laut United Nations in den kommenden Jahrzehnten zumindest ganz leicht steigen soll. Auf China trifft Letzteres übrigens nicht zu, laut Statista darf man mindestens bis zum Jahr 2030 mit einem Rückgang rechnen.

Das Meiste davon ist kaum etwas Neues für uns Anleger. Aber diese Entwicklungen könnten doch deutlich relevanter sein, als wir glauben, da wir sie so aus der Vergangenheit nicht gewohnt sind ‒ wir können also noch gar nicht wirklich wissen, wie sich diese Realitäten konkret auf unsere Wirtschaft auswirken werden.

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