3 auffällige Punkte aus der Praxair-Linde-Präsentation
Das Management von Praxair und Linde ist begeistert, weil sie die langen und zähen Fusionsverhandlungen jetzt hinter sich lassen und so langsam in die Implementierung übergehen können. Weniger begeistert sind die Mitarbeiter, denen die Wegrationalisierung droht. Aber was haben die Aktionäre davon? Hier sind drei Dinge aus der neuesten Präsentation, die mir aufgefallen sind.
1. Plus Plus Milliarden
Linde (WKN:648300) und Praxair (WKN:884364) erwarten, dass innerhalb der kommenden drei Jahre die laufenden Kosten um etwa 1 Mrd. Euro gesenkt werden können. Vor allem in der Verwaltung und im Vertrieb werden zahlreiche doppelt besetzte Stellen wohl wegfallen. Zudem wird mit größeren Einsparungen beim Einkauf und entlang der Wertschöpfungskette gerechnet.
Für die Umsetzung der Maßnahmen sollen insgesamt etwa 1 Mrd. Euro eingesetzt werden, was dann in der Bilanz etwas beschönigend als Einmalkosten deklariert wird, als ob man sie einfach ignorieren könnte. Dabei müssen Anleger wissen, dass zunächst die Belastungen die positiven Effekte überwiegen werden. Bereits im letzten Quartals sind immerhin 22 Mio. Euro für Restrukturierungen sowie Ausgaben im Zusammenhang mit der Fusion angefallen.
Was die Investitionen angeht, kann zukünftig vermieden werden, dass das Rad zweimal erfunden wird. Das hat zwar keinen unmittelbaren Effekt auf die Gewinn-Rechnung, aber wird sich langfristig an reduzierten Abschreibungen bemerkbar machen.
Aber der interessanteste Punkt betrifft die erwarteten Synergien bei Wachstumsinitiativen. Sie werden mit „++ B“ angegeben, was für einen hohen Milliardenbetrag („B“ englisch für Billion also Mrd.) zu stehen scheint.
2. Neue Geschäftschancen
Der Schwerpunkt der Darstellung des Managements liegt jedoch neben der Verbesserung der Kostenposition auf den komplementären Stärken und dem ausgeglicheneren Angebot. Die Abhängigkeit von einzelnen Regionen, Zielbranchen oder Liefer-Modi wird reduziert, sodass etwaige Marktschwächen in Teilsegmenten noch besser abgefedert werden können. Das ist sicherlich positiv einzuschätzen, aber leider wurde bisher nur wenig Visionäres verkündet, was die Fantasie des Anlegers darüber hinaus anregen würde.
Als langfristige Wachstumspotenziale, die nun gemeinsam gehoben werden sollen, wurden aber immerhin vier Stichpunkte genannt, bei denen die neue Größe von Vorteil sein wird: Die Eroberung von Marktanteilen in Schwellenländern, die Digitalisierung, der Gesundheitsmarkt und saubere Energien.
Am spannendsten finde ich das Energiethema. Sowohl Linde als auch Praxair haben in letzter Zeit ihre Entwicklungsanstrengungen rund um Flüssigerdgas und Wasserstoff stark erhöht. Das sind beides aktuell noch eher Nischenmärkte, was die Verwendung als Kraftstoff angeht. Aber wenn entlang der gesamten Wertschöpfungskette die entsprechenden Investitionen getätigt werden, dann kann daraus riesiges Neugeschäft entstehen.
Was heute nur von einigen LKWs und Gabelstaplern genutzt wird, könnte schon bald Autos, Schiffe und Züge antreiben. Die immer strengeren gesetzlichen Vorgaben, starke Industrieallianzen und die schnell voranschreitende Technologie sprechen dafür, dass hier bald einiges in Bewegung kommt. Das deutsch-amerikanische Tandem wäre dann mit Sicherheit ein Protagonist, der vom Engineering und der Fabrikausrüstung über die Gaseherstellung und Verflüssigung bis hin zur Distribution beteiligt ist.
Weitere Chancen ergeben sich unter Anderem rund um Biokraftstoffe, die Kohlendioxid-Abscheidung sowie innovative Materialien und Herstellungsverfahren für Solarzellen. Das sind ausgezeichnete Perspektiven, die ich aber im Detail so noch nicht aus dem Mund des zukünftigen Chefs Steve Angel gehört habe. Dessen Spezialität ist ja bekanntlich die exzellente Betriebsführung, welche starke Gewinnmargen zur Folge hatte und damit die kleinere Praxair auf Augenhöhe mit Linde hievte.
3. Der weitere Fahrplan
Auch wenn der Fusionsvertrag jetzt unterschrieben ist, sind noch ein paar Steine aus dem Weg zu räumen. Zunächst muss das Vorhaben noch von den Regulierungsbehörden formal abgesegnet werden, um dann im letzten Quartal dieses Jahres die Aktionäre von Praxair darüber abstimmen zu lassen. Diese müssen also auf jeden Fall noch überzeugt werden, genauso wie die Linde-Eigner, damit diese das Tauschangebot annehmen.
Bis dahin ist durchaus noch mit dem ein oder anderen Störfeuer zu rechnen, etwa von aktivistischen Aktionären oder Konkurrenten. Ich gehe zwar davon aus, dass der Prozess nicht mehr gestoppt wird, aber die Vorstände werden sich bis dahin nur wenig auf das operative Geschäft konzentrieren können.
Außerdem müssen ja noch etwaige behördliche Auflagen erfüllt werden. Aufgrund der starken Konzentration im Gasemarkt werden auf jeden Fall einige Geschäftsbereiche abgegeben werden müssen. Bis in 12 Monaten will man damit durch sein. Das kann reibungslos klappen, aber auch Probleme mit sich bringen, falls sich beispielsweise kein geeigneter Käufer findet oder nur unter Buchwert verkauft werden kann.
Es bleibt spannend
100 Jahre, nachdem die frühere Praxair-Mutter das US-Geschäft von Linde übernahm, soll jetzt also wieder zusammenwachsen, was zusammengehört. Ich habe dabei allerdings durchaus meine Zweifel, dass die Integration über die kommenden drei Jahre so rund läuft, wie von beiden Seiten erhofft. So wie die Fusionsverhandlungen mehr als holprig verliefen, dürfte auch in Zukunft noch das ein oder andere Problem auftreten, das die aktuelle Planung etwas zurückwirft.
Trotzdem bin ich überzeugt, dass die Kombination langfristig Sinn ergibt. Zusammen können Linde und Praxair Projekte stemmen, die für sie alleine jeweils eine Nummer zu groß gewesen wären. Außerdem wird ihre hervorragende Wettbewerbsposition zementiert, weshalb das Anlegerrisiko stark reduziert wird. Viele Profis werden sich wohl frühzeitig positionieren. Noch ein bisschen abwarten kann aber vielleicht nicht schaden.
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Ralf Anders besitzt keine der erwähnten Aktien. The Motley Fool besitzt keine der erwähnten Aktien.