Darum solltest du Aktien-Ratings von Börsenanalysten nicht zu viel Beachtung schenken
Wahrscheinlich hast auch du als Investor schon einmal eine Aktie gehalten, deren Kurs aufgrund einer von einem Börsenanalysten ausgesprochenen (starken) Kaufempfehlung gestiegen ist. Vielleicht hat der Analyst auch gleichzeitig ein Kursziel ausgegeben, das deutlich höher war als der damalige Kurs deiner Aktie. Zumindest ist mir das bereits widerfahren.
Tatsächlich sollte man als Langzeitinvestor den Empfehlungen der Börsen-Analysten allerdings vermutlich nicht all zu viel Beachtung schenken. Es gibt fünf konkrete Gründe, weshalb man Analysten-Ratings mit großer Skepsis genießen sollte.
1. Analysten tragen keinerlei Haftung
Das wohl größte Problem bei Börsenanalysten ist, dass sie keinerlei Haftung tragen — auch nicht, wenn sie komplett danebenliegen. Die Aktie des Pharma-Riesen Valeant Pharmaceuticals (WKN:A1C6JH) ist im August 2015 um fast 90 % gefallen. Das Unternehmen hat seine Gesamtjahres-Gewinnprognosen zwei Mal nach unten revidiert, weshalb sich die Abgabe der für US-Unternehmen notwendigen sogenannten Filings für das Gesamtjahr 2015 sowie das erste Quartal 2016 aufgrund fehlerhafter Umsatzrealisierung aus Geschäften mit einem ehemaligen Medikamenten-Zulieferanten verzögert hat. Außerdem musste sich Valeant Pharmaceuticals einigen Prüfungen seiner Geschäfts- und Preispraktiken unterziehen. Das Unternehmen versucht zudem, seine Verbindlichkeiten in Höhe von 30,8 Mrd. US-Dollar zu reduzieren, da aktuelle Gläubiger der Aufnahme von neuem Kapital nicht zustimmen.
Trotz dieser Sorgen lag Valeants übereinstimmendes Kursziel noch im November 2015 bei 188,41 US-Dollar. Von seinem damaligen Kursniveau ist die Aktie bis heute um 85 % gefallen. Investoren, die damals nur aufgrund völlig aus der Luft gegriffener Kursziele in das Unternehmen investiert haben, hat es hart getroffen. Unterdessen beschäftigen sich Börsenanalysten auch heute weiterhin mit Valeant, deren Rating und/oder Kursziel sie seitdem wiederholt nach unten revidiert haben.
Kurz gesagt: Börsenanalysten werden für ihr Handeln nicht zur Rechenschaft gezogen.
2. Ratings entstehen oft reaktiv
Zweitens sollten sich Langzeitinvestoren klar werden, dass die meisten Börsenanalysten – auch wenn sie scheinbar über großes Branchenwissen verfügen – ihre Ratings als Reaktion auf Unternehmensereignisse wie beispielsweise Quartalsberichte aussprechen; und nicht etwa proaktiv aufgrund irgendwelcher wahrgenommener Branchentrends.
Beispielsweise haben zehn Wall-Street-Unternehmen ihr Rating für das soziale Netzwerk LinkedIn (WKN:A1H82D) am Tag nach der Bekanntgabe der vierten Quartalsergebnisse im Februar revidiert. LinkedIn übertraf in diesem Quartalsbericht sowohl die Umsatz- als auch die Gewinnprognosen der Analysten, nannte aber für das erste Quartal des darauffolgenden Geschäftsjahres eine Gewinnprognose von 820 Mio. USD und einen bereinigten Gewinn je Aktie von 0,55 USD, während Analysten jedoch einstimmig von einem Umsatz von 868 Mio. USD und einem bereinigten Gewinn je Aktie von 0.75 USD ausgingen.
War das Geschäftsmodell des Unternehmens bereits nach einer gedämpften Prognose brüchig? Sicherlich nicht, aber das hat eine reaktive Gruppe von Börsenanalysten nicht daran gehindert, weitere Negativstimmung zu verbreiten.
Ironischerweise hat sich LinkedIn wieder aufgerappelt und im Juni eine Übernahme durch Microsoft für 196 US-Dollar je Aktie angekündigt – dies war fast doppelt so viel wie der Kurs der Aktie an dem Tag, an dem sie in Folge eines veröffentlichten Gewinnberichts 10 Mal heruntergestuft wurde.
Dies ist nur ein weiterer Grund, weshalb Investoren für sich selbst entscheiden sollten, ob ein Unternehmen einfach nur mit etwas Gegenwind zu kämpfen hat oder sich das gesamte Geschäftsmodell ändert oder fehlerhaft ist.
3. Es gibt kaum abweichende Meinungen
Ein dritter Grund, weshalb man Börsenanalysten-Ratings kritisch gegenüberstehen sollte, ist die Tatsache, dass es selten – wenn überhaupt – abweichende Meinung von Mitarbeitern eines Brokerhauses gibt. In anderen Worten: Wenn ein Brokerhaus ein „Kauf“ für eine Aktie ausspricht, wird das, ohne Widerworte, zum offiziellen Standpunkt des Unternehmens. Ein einheitliches Unternehmens-Rating könnte das Brokerhaus in die Richtung lenken, nur das zu sehen, was es sehen möchte, um seine anfängliche Bewertung zu bestätigen. Gleichzeitig werden andere Mitarbeiter dieses Unternehmens entmutigt, sich näher mit möglichen Tücken dieser Position zu beschäftigen.
Dahingegen glauben wir bei The Motley Fool daran, Dinge aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, da wir der Meinung sind, dass wir auf lange Sicht gesehen zum besseren Investor werden, wenn wir für jede Aktie, die wir bereits besitzen bzw. planen zu kaufen, sowohl den Standpunkt der Skeptiker als auch der Optimisten verstehen.
4. Kursziele basieren oft auf kurzfristigen Daten
Zusätzlich zu der Tatsache, dass Börsenanalysten wahrscheinlich viel reaktiver auf neuste Ereignisse sind, als sie es sein sollten, neigen sie auch dazu, einen besonderen Fokus auf die Kurzfristigkeit ihrer Kursziele und Ratings zu legen. Warum? Weil sie dafür bezahlt werden, vorauszuahnen, ob der Kurs einer Aktie in naher Zukunft steigen oder fallen wird.
Eines der denkwürdigsten Beispiele in der jüngsten Vergangenheit haben die amerikanische Friseursalon-Kette Regis (WKN:896286) und die Analystin Stephanie Wissink geschrieben. Am 19. Mai stufte Wissink Regis in Folge einer Änderung der Überstundenregelung des US-Arbeitsministeriums, von welcher Wissink ausging, dass sie Regis’ Kosten jährlich um 81 Mio. USD erhöhen würde, von „neutral“ auf „unterdurchschnittlich“ ab und senkte das Kursziel des Unternehmens von 13 USD auf 8 USD. Wissink fand nur wenige Stunden nach ihrer Herabstufung heraus, dass die meisten Regis-Manager bereits für Überstunden kompensiert werden. Daraufhin stufte sie noch am selben Tag die Aktie wieder auf „neutral“ herauf und hob das Kursziel auf 12 USD. Die tatsächlichen zusätzlichen Kosten von 5 Millionen USD sind bei einem Umsatz von 1,84 Milliarden USD, den Regis vergangenes Jahr erwirtschaftet hat, nur ein Tropfen auf den heißen Stein; und dennoch war eine kurzfristige Preisbewegung am Markt zu beobachten, genauso wie eine von der Analysten Wissink durchgeführte Änderung des Ratings um zwei Stufen.
5. Analysten könnten Interessenskonflikte haben
Zu guter Letzt können Börsenanalysten manchmal mit persönlichen Konflikten oder Befangenheiten zu kämpfen haben, weshalb du ihre Ratings oder Kursziele mit Skepsis genießen solltest. Einige Brokerhäuser verbieten ihren Mitarbeitern, Aktien, die sie analysieren, zu halten, aber das bedeutet nicht zwangsweise, dass diese Analysten diese Aktien nicht Familienmitgliedern oder Freunden empfehlen können.
Genauso neigen Brokerhäuser dazu, mehr Empfehlungen zum Kauf als zum Verkauf auszusprechen. Die Anzahl der „Buy“-Ratings ist um einiges höher als die Anzahl der „Sell“-Ratings und das – wie ich glaube – aus einem einfachen Grund: Ein „Sell“-Rating ist eine rote Flagge, die jede Chance eines Brokerhauses zu Nichte machen könnte, ein Geschäft mit den Unternehmen, die es analysiert, zu machen. In einigen Fällen bieten Brokerhäuser den gleichen Unternehmen, die sie auch beim Börsengang unterstützen, mit ihnen neue Finanzierungsbedingungen ausarbeiten oder ihnen helfen, strategische Geschäftsalternativen zu bewerten, auch Ratings und Kursziele an. Dieser potenzielle Interessenskonflikt darf von Langzeitinvestoren nicht einfach ignoriert werden.
Letztendlich bist nur du für deine Investitionsentscheidungen verantwortlich und Analysten-Ratings sollten nicht mehr sein als ein Ausgangspunkt für deine eigenen Recherchen.
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The Motley Fool empfiehlt und hält Aktien von Valeant Pharmaceuticals.
Dieser Artikel wurde von Sean Williams auf Englisch verfasst und am 27.09.2016 auf Fool.com veröffentlicht. Er wurde übersetzt, damit unsere deutschen Leser an der Diskussion teilnehmen können.