Sind europäische Value-Aktien überbewertet?
Value-Investing gilt als der heilige Gral des Investierens. Das ist in vieler Hinsicht auch verständlich, schließlich hat es nicht nur Warren Buffett und viele andere Investoren steinreich gemacht, es macht auch immer Sinn ein Wertpapier unter seinem intrinsischen Wert zu kaufen.
Das heißt aber nicht, dass klassisches Value-Investing eine heilige Kuh sein sollte. Wer in Europa nach den üblichen Kriterien Value-Aktien ausgewählt hat, wurde im Durchschnitt schon seit fast zwei Jahrzehnten mit schlechten Renditen bestraft. Unbeirrbare Benjamin Graham-Nachahmer trösten sich damit, dass die Kehrtwende bevorsteht, aber haben sie wirklich recht oder sind Value-Aktien zu überbewertet, um gute Renditen zu bringen?
Die Unterschiede zwischen Value und Growth
Erst einmal muss man wissen, welche Aktien man überhaupt als Value-Aktien bezeichnet. Es gibt keinen offiziell festgelegten Unterschied zwischen sogenannten Value– und Growth-Aktien, allerdings gibt es grobe Übereinstimmung über die wichtigsten Kriterien. Da sich ohnehin viele an den Indizes von MSCI orientieren, kann man sich auch deren Klassifizierung zunutze machen. Die lautet wie folgt:
Value
- niedriges Kurs-Buch-Verhältnis (KBV)
- niedriges Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) (gemessen an den Erwartungen für die nächsten 12 Monate)
- hohe Dividendenrendite
Growth
- hohes langfristig erwartetes Gewinnwachstum pro Aktie
- hohes kurzfristiges erwartetes Gewinnwachstum pro Aktie
- hohe aktuelle interne Wachstumsrate
- hoher langfristig historischer Gewinnwachstumstrend pro Aktie
- hoher langfristig historischer Umsatzwachstumstrend pro Aktie
Die Value-Falle
Das Interessante daran ist, dass man sich bei Value-Aktien also auf die Bewertungen stützt, die der Markt einer Aktie zuweist. Die Logik von Value-Investoren heißt deswegen oft, dass der Markt dazu neigt, nach oben wie nach unten zu übertreiben. Wenn also eine Aktie stark abgestraft wird und deshalb ein niedriges KBV oder KGV aufweist, ist es laut der Value-Logik im Schnitt übertrieben, so dass langfristig zu den niedrigen Kursen überdurchschnittlich gute Renditen zu erwarten sind. Aber war das so?
Wir können einmal die Renditen zwischen Value und Growth der relevanten MSCI-Indizes vergleichen:
MSCI Europe Value | MSCI Europe Growth | MSCI Europe | |
durchschnittliche jährliche Rendite inkl. Dividenden der letzten 10 Jahre* | -0,12 % | 3,45 % | 1,74 % |
aktuelles KGV | 18,99 | 23,98 | 21,16 |
aktuelles KBV | 1,31 | 3,00 | 1,81 |
aktuelle Dividendenrendite | 4,35 % | 2,26 % | 3,32 % |
Quelle: MSCI, Stand 31.07.2017, *Rendite in US-Dollar, da nur in dieser Währung eine Rendite inkl. Dividenden zur Verfügung steht
Wie man sieht, war das ein ziemlich schlechtes Jahrzehnt für Value-Aktien. Die Rendite lag unter der des normalen Index und deutlich unterhalb der von Wachstumsaktien. Das Problem ist aber, dass Value-Aktien nach so langer unterdurchschnittlicher Rendite noch lange nicht spottbillig sind. Ein KGV von circa 19 ist nicht gerade ein Schnäppchen, vor allem wenn die Wachstumsaussichten für diese Unternehmen mit großer Sicherheit nicht übermäßig gut sind.
Dividenden verzerren zusätzlich
Dabei hätte ich erwartet, dass gerade Value-Aktien sich in einem Nullzinsumfeld gut schlagen würden, schließlich sind viele Anleger hungrig nach Dividenden. Anscheinend überwiegt allerdings die mangelnde Attraktivität der europäischen Value-Aktien, die selbst mit ihrer hohen Dividendenrendite kaum Anleger anlocken konnten.
Für deutsche Anleger ist die Situation sogar noch schlimmer, denn sie müssen auf Dividenden die Abgeltungssteuer zahlen und somit verringert sich der, bei Value-Aktien durchaus hohe, Beitrag der Dividendenrendite zur Gesamtrendite um knapp über ein Viertel. Wer sauber rechnen will, muss dies beim Vergleich von Value- und Growth-Aktien berücksichtigen.
Vielleicht haben die Value-Investoren am Ende recht, und wer noch einmal ein oder zwei Jahrzehnte Geduld mitbringt bekommt am Ende die vielbeschworene Überrendite von Value-Aktien. Meiner Ansicht nach sind die Voraussetzungen dafür aber schlechter, als viele denken.
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Marlon Bonazzi besitzt keine der erwähnten Aktien. The Motley Fool besitzt keine der erwähnten Aktien.