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Das mysteriöse Schrumpfen des Eigenkapitals bei Siemens und Co.

Totenkopf der die Sterblichkeit symbolisiert
Foto: Pixabay

Es ist Erstaunliches zu beobachten in den zuletzt veröffentlichten Geschäftsberichten: Trotz Nettogewinnen schrumpft bei Siemens (WKN:723610), Commerzbank (WKN:CBK100) und anderen Konzernen das Eigenkapital. Wie kann das sein und wie geht es in Zukunft weiter? Diesen Fragen habe ich mich eingehend gewidmet und bin dabei auf einen Grund gestoßen, der super für uns ist: eine längere Lebenserwartung.

Darum geht’s

In der herkömmlichen, vereinfachten Buchhaltung ist die Rechnung einfach: Das Eigenkapital berechnet sich aus dem Wert der Vorperiode zuzüglich des Nettogewinns und abzüglich der Ausschüttungen. Bei profitablen Unternehmen wäre also üblicherweise mit einer Steigerung zu rechnen.

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Wenn wir allerdings in die Bilanz etwa von Siemens blicken, dann funktioniert das nicht. Trotz eines ausgezeichnet verlaufenen Geschäftsjahres mit stattlichen fünfeinhalb Milliarden Euro Nettogewinn, reduzierte sich das Eigenkapital um über 200 Mio. Euro. Dabei betrug die Ausschüttung für das Vorjahr nur 55 % des Gewinns. Wohin sind also die etwa 2,5 Mrd. Euro, welche die Bilanz hätten stärken sollen, verschwunden?

Ganz klar: Es muss irgendwie mit der hohen Kunst der Rechnungslegung zu tun haben. Zwei Hauptursachen lassen sich ausmachen.

Ursache Nr.1: Die steigende Lebenserwartung

Viele Unternehmen haben bereits vor vielen Jahren Betriebsrenten mit Leistungsversprechen eingeführt. Dabei wird den Versicherten ein bestimmter Auszahlungsplan zugesichert, wenn sie einmal in Rente gehen. Über die Jahre hat sich daraus ein potenzielles Bilanzrisiko entwickelt. Allein bei den DAX-Konzernen geht es um mehrere Hundert Milliarden Euro.

Ein Problem dabei ist, dass zum jetzigen Zeitpunkt niemand genau wissen kann, wie viel Geld tatsächlich ausbezahlt werden muss, denn man kann nur mit umfassenden statistischen Modellen schätzen, wie viele Jahre die Versicherten im Schnitt noch haben, nachdem sie die Rente antreten. Dabei wurde in der Vergangenheit der medizinische Fortschritt unterschätzt.

Für viele früher tödlich verlaufende Krankheiten wie HIV und Hepatitis gibt es heute eine Therapie. Was wäre das ein Glück für die Menschheit, wenn zudem der Krebs endgültig besiegt werden könnte? Aber was für uns alle eine riesige Erleichterung wäre, würde den Verantwortlichen bei den Pensionskassen Sorgenfalten auf die Stirn treiben.

In der Schweiz scherzte der Tagesanzeiger zu diesem Thema mit schwarzem Humor, dass man gewillt sein könnte, einen Killer anzuheuern, um der Sterberate auf die Sprünge helfen. Fakt ist, dass die Prognosen drastisch angehoben werden mussten mit massiven Auswirkungen. Laut einer Modellrechnung von JP Morgan wachsen die Pensionsverpflichtungen um 11 %, wenn die Erwartungen zum Rückgang der Sterblichkeitsrate um nur 1 % unterschätzt wird.

Ursache Nr.2: Die sinkenden Zinsen

Mindestens genauso schwer vorauszusagen wie die Lebenserwartung ist die Zinsentwicklung, der zweite zentrale Faktor bei der der Bewertung der Pensionsverpflichtungen. Schließlich müssen bereits heute Rückstellungen in einem Umfang gebildet werden, dass alle Ansprüche über die kommenden Jahrzehnte bedient werden können.

Rückstellungen bedeuten übrigens, dass vom Eigenkapital entsprechende Mittel abgezwackt werden, um die kalkulierte Deckungslücke zu schließen. Denn nur rund 60 % werden im Schnitt als geschütztes Planvermögen in Betriebskassen gesichert. Den Rest muss das Unternehmen erwirtschaften.

Aber wie viel Kapital muss ich heute haben, damit ich davon im April 2040 beispielsweise 2.000 Euro ausbezahlen kann? Bis dahin können Konzern und Betriebskasse ja noch die Mittel mehren. Früher nahm man dafür den steuerrechtlichen Standardzinssatz in Höhe von 6 % her und hielt das wahrscheinlich sogar für konservativ. Damit hätte man heute nur 482 Euro zur Seite hätte legen müssen.

In Zeiten von Negativzinsen ist dies aber nicht mehr haltbar. Die Zinswende will nicht kommen und das Angebot an sicheren Anlagen ist dank des ausufernden Wirkens der Zentralbanken knapp. 30-jährige Bundesanleihen werfen nur ein Prozent ab; zur Jahrtausendwende waren es noch sechs. Heutzutage wird mit komplexen versicherungsmathematischen Modellen gerechnet, die aktuell je nach Auszahlungszeitpunkt zwischen 2,5 % und 4 % vorsehen. Mit 3 % statt 6 % verdoppelt sich der zuvor genannte Betrag auf 993 Euro.

Die Folgen

Das Forschungsinstitut von Flossbach von Storch bezeichnete diese Entwicklung als „Die Pensionskassen-Zeitbombe“. Pensionskassen, die auf langlaufende Anleihen setzen, erwirtschaften nicht mehr genug Erträge, sodass sich die Finanzierungslücke ausweitet. Die früher hochverzinsten Anlagen laufen nach und nach aus und lassen sich nicht mehr so leicht ersetzen.

Wie gezeigt, haben schon kleine Anpassungen der Parameter für die erwartete Entwicklung riesige Auswirkungen auf die auf heute heruntergerechneten Verpflichtungen. In der Bilanz wird das bei den meisten Konzernen erfolgsneutral verbucht. In der Gewinn-und-Verlust-Rechnung taucht davon nichts auf. Schließlich will man sich seinen schönen erwirtschafteten Gewinn nicht durch kalkulatorische Effekte kaputtmachen lassen. Erst im Abschnitt zur Eigenkapitalentwicklung ist von Bewertungsanpassungen die Rede.

Gerade Unternehmen mit schwacher Bilanz ächzen unter dieser Entwicklung. Beispielsweise sehnt sich die Commerzbank danach, aus eigener Kraft nach und nach die Eigenkapitalquote wieder auf ein akzeptables Niveau hieven zu können. Leider sank das Eigenkapital im Vorjahr wegen Neubewertungen und Dividenden trotz Gewinn. Noch schlimmer kommt es für die gebeutelten Versorger RWE (WKN:703712) und E.ON (WKN:ENAG99). Als ob sie nicht schon genug Probleme zu bewältigen hätten, reißen nun auch noch die Pensionsverpflichtungen Löcher in die Bilanz.

Eine Herausforderung für Unternehmen und Analysten

Für die Analyse von Unternehmen erscheint mir dieser Faktor ganz schön problematisch. Da baut man aufwendige Modelle, um den operativen Gewinn, die Zinsen und Steuern zu schätzen und dann ändert sich ein kalkulatorischer Parameter bei den Pensionsverpflichtungen und stellt alles auf den Kopf. Gerade für diejenigen, die wie ich immer ein Auge auf dem Kurs-Buchwert-Verhältnis haben, kann das frustrierend sein.

Eine Lösung würde darin bestehen, die Pensionspläne auszufinanzieren. Dann wären in der Folge die Auswirkungen auf das Eigenkapital nicht mehr so heftig. Zu diesem Schritt hat sich beispielsweise Rheinmetall (WKN:703000) entschieden. Daneben könnte bei den Betriebskassen die Ausweitung alternativer Anlageinstrumente wie Infrastrukturprojekte und Erneuerbare Energien für Entlastung sorgen.

Die Auswirkungen könnten zukünftig durchaus wieder freundlicher ausfallen, wofür man einerseits hoffen will, dass sich die Parameter in Zukunft wieder günstiger entwickeln. Andererseits wünsche ich allen Lesern ein langes Leben!

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Ralf Anders besitzt keine der erwähnten Aktien. The Motley Fool besitzt keine der erwähnten Aktien.



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